Julian: Lieber Wolfgang, vielen Dank, dass du auch in diesen besonderen Zeiten wieder einmal als DJEM-Trainer zur Verfügung standst. Wie ist es gelaufen aus deiner Perspektive?
Wolfgang: Es ist gut gelaufen. Bei Levi (U10) war der Turnierverlauf unglücklich. Er hat 2 gewonnene Partien weggeworfen – die Stellungen in Runde 1 und Runde 4 waren klar gewonnen. Das passiert bei Kleinen. Aber von der schachlichen Qualität wirklich gut. Die letzte Runde muss er halt weiterspielen mit 2 Türmen gegen die Dame. Da war einfach die Luft raus. Katerina in der U12w wird ebenfalls nicht ganz zufrieden sein. Nach starken vier Siegen in den ersten vier Runden, folgte eine Doppelnull. Das ist natürlich bitter. Nach der ersten Niederlage konnte ich sie wiederaufbauen, aber dann hat sie nachmittags leider was weggestellt. Wenn sie diese Runde gewinnt, hat sie trotz einer Niederlage alle Chancen auf die Deutsche Meisterschaft. Und dann hat sie auch einfach kein Turnierglück. Die Drittplatzierte steht in der letzten Runde vollkommen auf Verlust und gewinnt dann durch einen groben Patzer. Dadurch rutscht Katerina auf Platz 4 und verpasst das Treppchen. Besonders gelungen war die 4. Runde. Die Vorbereitung gegen Charis Peglau traf ins Schwarze, sie kam überhaupt nicht gegen Katerina klar.
Julian: ... aber es kann auch anders laufen?
Wolfgang: Ja, das sieht man bei Lisa (U10w), sie steht breit in der letzten Runde. Ich weiß gar nicht wie das ausgeht, wenn sie diese verliert. Bis dahin war es von ihr ein klasse Turnier. Und dann … da weiß ich nicht, was mit ihr los war, das können die Nerven gewesen sein. Du hast 6 Punkte aus 6 Partien geholt und hinter dir ist eine mit 5 aus 6. Und falls die Verfolgerin gewinnt – ich möchte mir die Zweitwertung gar nicht anschauen, das hätte ins Auge gehen können.
Julian: Kommen wir zur größten Überraschung des Turniers…
Wolfgang: Ida (U10w) mit Platz 3, der Knaller! Das hätte keiner für möglich gehalten. Sicherlich vorteilhaft, dass sie unterm Radar spielt – keiner hat sie auf dem Zettel. Total klasse. Das gab ihr einen riesigen Push, es folgte ein Sieg nach dem nächsten. Sie ist super ehrgeizig und da sehe ich riesiges Potential in der Zukunft. Ida kann noch ein Jahr U10w spielen, da kann richtig was gehen.
Julian: Ihr Bruder Paul Matti (U10) war als Nachrücker im ungeraden Teilnehmerfeld spontan auch mit von der Partie, vom Teilnehmerfeld weit abgeschlagen. Hattet ihr Sorge, dass er sich eventuell mit 7 Niederlagen abfinden muss?
Wolfgang: Auf jeden Fall! Aber als er dann endlich gewonnen hatte, haben wir alle riesig gejubelt. Das ganze Team. Genauso bei Lasse (U10): Er startet mit 0 aus 5 und dann endlich der erste Sieg. Wir fiebern da alle mit. Umso schöner, wenn dann endlich der Durchbruch kommt. Keiner beendete das Turnier mit 0 Punkten, das ist super wichtig.
Julian: Auf jeden Fall. Die beiden wissen von Anfang an, sie sind die nominell Schwächsten und müssen jede Partie gegen deutlich stärkere spielen. Aber trotzdem frustriert eine Niederlage nach der nächsten, egal, wie stark der Gegner ist. Wie kamen die beiden damit klar?
Wolfgang: Die beiden müssen so eine Meisterschaft einfach genießen, das ganz besondere Feeling. Und umso besser geht das mit den Erfolgen, auch gegen Stärkere mal einen Sieg einzufahren. Bei der Konkurrenz ist es wahnsinnig schwierig zu punkten, gerade wenn man in den Mühlen der Niederlagen steckt. Wenn man nicht selbst spielt, ist das immer einfach zu sagen – aber man selbst ist auch nicht diesem psychischen Druck einer Deutschen Meisterschaft ausgesetzt.
Was für mich schwierig ist, ist das, was Jacob (U12) gemacht hat. Nur Remise. Jacob hat die zweite Runde verloren und dann gegen stärkere Gegner nur noch geklammert. Das mag auf den ersten Blick ein Erfolg sein, bringt einen aber schachlich auf längere Sicht nicht weiter. Er hat Potential. Aber wie sein Ergebnis zustande kam ist dann zu dünn für seine Entwicklung. Genauso bei Justus. Er muss einfach durchspielen und dann eben im Zweifel eben auch eine Partie verlieren.
Julian: Ich kenne das ja selbst noch. Ich habe lange in einer Situation gesteckt, wo ich ständig remisiert habe. Mich hast du da leider nicht wirklich rausholen können.
Wolfgang: Ja, ich war dabei (lacht), damals war ich noch dein Trainer. Da habe ich schon zu dir gesagt: verliere lieber, das ist total egal. Aber definitiv besser, als nur zu remisieren. Wenn man da erstmal drin steckt, ist es verdammt schwierig wieder heraus zu kommen. Du hemmst dein eigenes Können. Als du das abgelegt hattest, lief es ja auch deutlich besser für dich. Wenn ich bedenke, wie oft du dich mit Joschka um den Landesmeistertitel gekloppt hast, da wären vielleicht sogar ein paar Titel drin gewesen mit etwas mehr Mumm. Aber zurück zum Turnier. Ansonsten liefs super. Das Team war klasse, eine Bahnfahrt ohne Unfälle, ausnahmsweise mal top pünktlich. Letzteres hatten wir Jahre nicht.
Julian: Trotz der 5 Minuten Umsteigezeit, die ich euch gegönnt habe? [Anm.: Julian hat die Bahntickets gekauft]
Wolfgang: Alles hingekriegt. Das mussten wir halt gut organisieren. Die letzten Jahre bin ich immer zum Anschlusszug gesprintet und habe den Fuß in die Tür gehalten. Das durfte dieses Mal Birger machen. Und dann nichts wie rüber. Für U10 / U12 ist das mit Gepäck kaum machbar. Du kannst von keinem der Kleinen verlangen auf die Schnelle die Koffer aus dem Zug zu hieven. Das durften dann Martin, Birger und ich machen – mit den Koffern zack raus- und zack reingewumpst … oh Gott. Aber es hat alles funktioniert. Nichts verloren, nichts kaputt, nichts verletzt und keine Toten. Dadurch waren wir halt eine Stunde schneller in Willingen. Ich bin lieber früher da. Und außerdem mussten wir dann nicht in das Gewühle mit den Corona Tests.
Julian: Da kommst du auf ein Thema zu sprechen, was sicherlich viele interessiert. Überall Lockdown in ganz Deutschland und auf der Insel Willingen wird mit 400 Personen ein Schachgroßevent ausgerichtet. Wie lief das ab?
Wolfgang: Völlig anders. Ganz andere Verhältnisse. Es waren keine Zuschauer im Spielsaal erlaubt. Aber gerade die Kleinen brauchen Hilfe. Die vergessen bei dem ganzen Schach zu essen und zu trinken. Das ist ein großes Problem, wenn sie keiner dran erinnert. Die dehydrieren fast während der Partie, verlieren die Konzentration und sind danach einfach nur durch. Außer Birger als Delegationsleiter durfte keiner den Spielsaal betreten. Er kann nicht allein alle Kinder die ganze Zeit im Blick behalten zusätzlich zu seinen ganzen anderen Aufgaben. Großer Abstand am Brett für die Kleinen schwierig. Sie mussten auf Knien sitzen, um am Brett an alle Figuren anzukommen. Die Perspektive ist ganz anders, das macht es deutlich unübersichtlicher. Alles zusammen wahnsinnig schwierig und nervig für alle. Die Kids kennen das aus der Schule. Aber da gelten die Maßnahmen nicht drei Stunden am Stück und dazu bei höchster Konzentration. Es gibt zwar einen Freiluftbereich, aber seien wir ehrlich. Wer den Spielsaal kennt - das klappt doch nicht, dass jeder regelmäßig durch den ganzen Saal rennt, um Luft zu tanken.
Was gut funktioniert hat, das war die Organisation der Deutschen Schachjugend. Wir waren fast alleine im Hotel, also quasi top Isoliert. Jeder hat einen Corona Schnelltest erhalten. Ich bin heilfroh, dass das alles so geklappt hat. Es gab keinen einzigen Corona-Fall.
Julian: Hat sich dein und euer Verhalten durch die Umstände verändert?
Wolfgang: Bei mir definitiv, und bei den meisten anderen auch. Wir waren quasi isoliert, nur zum Einkaufen außerhalb des Hotels. Auf dem Hinweg am Bahnhof beispielsweise bin ich nicht mal zum Bäcker gegangen. Man muss sich ja registrieren, falls es dort einen Coronafall gibt. Stell dir vor, es kommt ein Anruf und man müsste mitten in der Meisterschaft in Quarantäne…
Julian: Unsere Delegation hat in Willingen ja einen eigenen Teamraum. Wie lief es damit?
Wolfgang: Den wollten wir natürlich nutzen, das war aber schwierig. Es konnten nur so viele Menschen rein, wie Stühle vorhanden waren. Drei Gruppen gleichzeitig dort zu trainieren war nicht möglich. Also mussten wir das Training teils aufs Zimmer verlagern was ich in der Situation nicht einfach finde. Aber wir haben das dann mit allen klar kommuniziert, die Eltern wussten Bescheid und die Tür war immer offen, wenn Kinder dort mit uns trainiert haben. Denn Kinderschutz ist mir persönlich sehr wichtig. Auch wenn viele Eltern und Kinder und mich seit Ewigkeiten kennen, müssen wir uns immer klar werden, dass das Kindeswohl an erster Stelle steht und wir daher auch präventiv Situationen vermeiden, die Gefährdungspotential haben. Wir haben zum Glück seit Ewigkeiten keinen Fall in der SJSH und es ist wichtig, alles zu vermeiden, was Kindesmissbrauch begünstigen könnte.
Julian: Wie fühlte es sich an, in einer so kleinen Gruppe vor Ort zu sein? Normalerweise sind mindestens dreifach so viele Personen in Willingen.
Wolfgang: Das hat super funktioniert, wir hatten eine coole Gruppe aus SH. Durch die deutlich geringere Anzahl an Menschen im Hotel war es entspannter und weitläufiger. Schade war, dass es zur Siegerehrung recht leer war. Vermutlich waren einige Landesverbände schon abgereist, weil sie nichts gerissen hatten. Das habe ich zum Beispiel Bayern hoch angerechnet! Die haben einen weiten Heimweg und sind trotzdem bis zum Ende dageblieben. Das gehört zum Fairplay dazu. Ich bin mit einem der bayerischen Trainer ins Gespräch gekommen. Er meinte, die Kinder wäre einfach nicht in guter Form gewesen. Das gehört nun mal auch dazu, dann holt auch ein großer Verband mal nichts.
Julian: Kommen wir nun zu deiner Ehrung mit dem Jubiläumschessy. Wann hast du denn mitbekommen, dass es um dich ging?
Wolfgang: Malte hat ellenviel erzählt. Ich habe da gesessen, mit einem Ohr zugehört und nichts geschnallt. Erst bei der Frauen-Ländermeisterschaft in Braunfels dachte ich mir, das kann nur ich gewesen sein und war richtig erschrocken. Vorher habe ich weder was geschnallt noch mitbekommen. Und dann musste ich auch schon hoch.
Ironischerweise meinte der besagte Bayerntrainer vor der Siegerehrung zu mir: „Eigentlich müsste man dich mal vorschlagen!“. Er war auch der Erste, der mir gratulierte, hat aber sofort geschworen, mich nicht vorgeschlagen zu haben. [Anmerkung: ne, das waren wir ????]
Julian: Im Livestream konnte man es sehen, du hattest nicht mal dein Namensschild abgenommen.
Wolfgang: (lacht) Ich bin da hoch und wusste gar nicht wirklich, was los war - totale Überraschung! Das war ein Volltreffer. Birger hatte mich vorher zu einem Interview weggeholt, die Hucke voll gelogen, von wegen einfach mal so übers Ehrenamt. Foto gemacht, nichts bei gedacht. „Wo geht das hin?“ „Zu Instagram.“, meinte Anna-Blume, weil sie genau weiß, dass ich davon keine Ahnung habe. Ich habe mir nichts weiter dabei gedacht.
Dann rief Birger später noch mal an. Die Steffi aus Hessen fragte an, ob sie noch ein Foto machen könnte, weil Birger es versaut hatte (lacht). Ich kenne sie nur vom Sehen, sie meinte zu mir, sie kriege bestimmt ein netteres Foto hin als Birger. Also haben wir halt noch mal ein Foto gemacht und mich auch nicht weiter gewundert, dass es nirgends (Website etc.) zu finden war. Wie gesagt, total überraschend, und ich habe mich richtig gefreut!
Julian: Wie lange bist du eigentlich als Trainer dabei?
Wolfgang: Seit 2004. Malte und ich haben damals den Kader in SH neu strukturiert, weil wir mit der damaligen Situation absolut nicht zufrieden waren. Ich habe dann nach und nach die Kadertrainer, die z.T. bis heute Training geben, mit ins Boot geholt - und seitdem läuft‘s. Malte hatte Recht mit seiner Rede. Damals waren wir in der Länderwertung Letzter mit Riesenabstand. Und 2018 - Nummer 1! Ich glaube, das hat auch was damit zu tun, dass das ganze Team gemeinsam funktioniert und wir Spaß daran haben, an unserem Erfolg zu arbeiten – damals wie heute. Das sieht man bei der DJEM: Das Trainerteam und die Absprache mit Birger funktioniert einfach, er verlässt sich auf uns. Die Delegationsleiter aus SH haben das immer gut hingekriegt – sie lassen uns unseren Job machen, und wenn wir Probleme haben, kümmert er sich. Malte war damals am Anfang noch etwas skeptischer, hat dann aber auch gemerkt, dass er auf uns Trainer vertrauen kann. Das ist unheimlich wichtig für gute Zusammenarbeit.
Julian: Wie bist du im Jahr 2004 dazu gekommen?
Wolfgang: Ich habe um das Jahr 2000 meinen Trainerschein gemacht. Auf‘s selbst Schach spielen hatte ich keine Lust mehr, ich war frustriert, weil es in der Mannschaft nicht gut lief. Also machte ich den Trainerschein, um mein Wissen weiterzugeben. Das ging in Segeberg damals los, dann sprach Malte mich an, ob ich nicht Lust auf den Kader hätte, und so ging es immer weiter. Mir hat es schnell richtig Spaß gemacht und ich habe gemerkt, dass man echt was bewegen kann! Daraufhin habe ich häufig was mit den TuRa-Mädels gemacht, die Deutsche Ländermeisterschaft, die DJEM…und plötzlich macht man das ganze Jahr über was und spielt selbst gar nicht mehr.
Julian: Spielen, organisieren, trainieren - drei Dinge, die sich beißen? Das merke ich zumindest immer wieder.
Wolfgang: Ich war damals an einem Punkt, entweder vollständig mit Schach aufzuhören oder was ganz Anderes als bisher zu machen. Mit Schach aufhören wollte ich nicht, denn man kennt viele Leute im ganzen Land und über Schach hält sich der Kontakt. Durch das Jugendtraining habe ich wieder Spaß am Schach gefunden. Ich mache das aus Überzeugung. Ich finde auch, entweder hast du Lust darauf, oder du lässt es. Letztes Jahr hat mich dann auch noch das SH-Frauenteam gefragt, und - zack! – holten wir die Bronzemedaille. Und das liegt nicht an meiner Spielstärke. Ich bin gut darin, ein Team zu bilden. Das macht jedes Teammitglied viel stärker, als du es alleine wärst.
Julian: Mal etwas provokant gefragt: Du spielst seit Ewigkeiten Tennis. Hätte es nicht 2004 sein können, dass du Schach den Rücken kehrst und im Tennis mit Jugendtraining anfängst?
Wolfgang: Niemals. Ne, nein. Das stand nie zur Wahl, weil du dort nicht so arbeiten kannst, wie beim Schach. Ich spiele gern, aber beim Tennis sind auch viele Kinder, die eigentlich gar keine Lust haben. Das gibt es auch beim Schach, aber meiner Erfahrung nach bei Weitem nicht so viele. Bislang konnte ich meine Schützlinge immer überzeugen, dass Schach das tollste der Welt ist. Das kann ich beim Schach, dieses Leuchten in den Augen zu übertragen.
Julian: Ich habe gerade angefangen, zu arbeiten. Und du hörst bald auf. Was dann?
Wolfgang: Dann geht es erst richtig los! Ich habe schon Kontakte für Schulschach-AGs geknüpft. Also werde ich in die Schulen gehen, und versuchen, den Leuten Schach beizubringen. Ich werde garantiert nicht hier auf dem Hintern rumsitzen. Es ist gar nicht einfach, Leute für Schulen zu finden, aber ich habe Bock, da was zu machen! Auf die Couch, ne, das ist nichts für mich.
Julian: Am Anfang deines Lebens hast du Zeit, aber kein Geld. Dann hast du Geld aber keine Zeit und zum Schluss hast du beides, aber keine Gesundheit. Habe ich irgendwo mal aufgeschnappt… was meinst du?
Wolfgang: Der Spruch ist fies, aber er kann stimmen. Das ist wie gerade, einfach eine beschissene Zeit,aber du kannst dagegen ankämpfen. Man kann sich verkriechen und nichts machen, oder halt das machen, was möglich ist. Gerade wir als Schachspieler haben einen riesigen Vorteil gegenüber Mannschaftssportarten.
Julian: Wolfgang, vielen lieben Dank für dieses Interview.